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Unbekannter Autor (um 1746)
 
Der Briefträger
 
 
Da, Möpsgen mit der schwarzen Schnauze,
Nimm diesen Brief, und bring ihn Doris.
Ich seh, die Mutter geht zum Caffee,
Nun kömmt sie vor sechs Uhr nicht wieder.
Flugs nimm das Briefgen in die Schnauze,
Und laufe schnell durch alle Gäßgen.
Allein begeifre mir den Brief nicht,
Es ist mir viel daran gelegen.
Durchbeiß ihn auch nicht mit den Zähnen.
Da, merks, hierunten steht mein Name,
Hier weiter oben steht der Inhalt;
Sieh hier, hier steht die Zeit und Stunde;
Dis dreyes muß du nicht verletzen.
Und siehst du etwa andre Hunde,
Es seyn nun Möpsgen oder andre,
Besonders andre, laß sie laufen,
Du sollt ein andermal schon laufen,
Denn sollt du dich mit ihnen wälzen,
Ihr sollt einander niederwerfen,
Und wieder in die Höhe springen,
Da sollt ihr machen was ihr wollet,
Die Zeit ist jetzo viel zu edel.
Wenn du nun Doris angetroffen,
Da spring sie an, und gib das Briefgen;
Gleich augenblicklich wird sies lesen,
Gib acht: sie nicket oder schüttelt,
Doch besser ist es, wenn sie nicket,
Dann laufe wieder deine Wege.
Und wenn du wieder kömmst, so sag mirs,
Wie ihr der Kopf dabey gegangen,
Du darfst nur mit dem Schwänzgen reden,
Daran will ich schon alles merken,
Hat sie genickt, spiel mit dem Schwänzgen;
Hat sie geschüttelt, laß ihn hängen.
 
 
Dieses Gedicht erschien 1746 als Gelegenheitsdruck zur Hochzeit eines pommerschen Adligen.
 
Das Gedicht ist abgedruckt in:
Galante Musenkinder: Eine Sammlung verschollener und wenig bekannter Deutscher Liebes- und Scherzgedichte aus früheren Jahrhunderten, hrsg. von Max Müller-Melchior. Leipzig: Teutonia, 1906; S. 62 f.