El Hor
Hero und Leander
Der Fensterbogen rahmt einen Fetzen der Nacht
ein, das Meer ist wie aus glimmenden Phosphorstreifen
hineingewirkt in eine dunkle, flatternde Fahne.
Der Seewind quillt warm und feucht über den
salzigen Strand, um Gemäuer und Säulen, und
kommt zum Fenster herein.
Hero wacht und wartet.
Leander kommt schwimmend durch das Meer,
von weither, von dem Licht ihrer Lampe geführt.
Er wird bei ihr sein, wie gestern.
Gestern kam er zum erstenmal -
Ach! Zum erstenmal!
Das ist vorbei.
Heute wird er wiederkommen. Und er wird
nach dem Meer duften und nach den Nebeln der
Nacht. So wie es gestern war. Alles wird sein, wie
es gestern war.
Es soll nicht sein! Nichts soll wiederkehren!
Und sie löscht die Lampe.
Das Meer zischt und brüllt ruhelos.
Sie läuft hinunter zum Strand. Draußen ergreift
sie der Wind, ungeduldig wie ein Buhle.
Sie geht singend die felsige Küste entlang, auf
und ab, bis zum Morgen.
Wer sich hinter dem Pseudonym El Hor (auch: El Ha) verbirgt, ist bislang unbekannt.
Sicher ist nur, daß es eine Frau war, die in Wien lebte und seit 1913 in
expressionistischen Zeitschriften Prosaskizzen publizierte.
Außerdem veröffentlichte die Dichterin zwei Bücher: Die Schaukel (1913) und Schatten (1920).
Eine Neuausgabe ihrer Prosaskizzen ist 1991 erschienen:
El Hor. El Ha: Die Schaukel. Schatten. Hrsg. von Hartwig Suhrbier. Göttingen: Steidl, 1991.
Den Text Hero und Helander findet man dort auf Seite 81 f.
|