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Heysesche s-Schreibung in Frakturschrift

Drei Seiten aus Heyses Handwörterbuch der deutschen Sprache (1833-1849):

In der Vorrede schrieb K. W. L. Heyse:

Die Rechtſchreibung iſt nach einem beſtimmten, auf Etymologie, gute Ausſprache und Schreibgebrauch gegründeten Syſtem geregelt und conſequent durchgeführt. Bei ſchwankender Schreibung eines Wortes iſt der Grund für die vorgezogene Form überall angedeutet, wo es ſich in der Kürze thun ließ. Die einzige durchgreifenden Neuerung, an welcher Manche Anſtoß nehmen werden, iſt die nach dem Vorgange der Sprachlehren meines Vaters eingeführte durchgängige Anwendung des ſſ oder ſs (da es in der Officin an dem in jenen Werken gebrauchten eigenthümlichen Schriftzeichen für das Schluſs-ſſ fehlte) nach geſchärften Vokalen, wo die gemeine Orthographie vor einem t und am Ende der Silbe ein ß an die Stelle ſetzt (alſo: muſſt, muſs, Faſsbinder etc. für das gewöhnliche mußt, muß, Faßbinder etc.). Ich weiß ſehr wohl, was die hiſtoriſche Sprachforſchung gegen dieſe Neuerung einwenden kann, weiß aber auch, daſs dieſe Einwendungen gegen die in Übereinſtimmung mit der heutigen Ausſprache dadurch gewonnene größere Conſequenz und Einfachheit der Rechtſchreibung nicht Stand halten, was ich in der neuen Ausgabe der größeren Grammatik näher zu erweiſen gedenke.

[J. Chr. Aug. Heyse; K. W. L. Heyse: Handwörterbuch der deutschen Sprache. Erster Theil. A-K. Magdeburg: Heinrichshofen, 1833. S. XIII f.]


Hier zwei Ausschnitte aus Sanders' Handwörterbuch der deutschen Sprache (4. Aufl. 1888), in dem dieses »eigenthümliche Schriftzeichen« verwendet wurde:

floss -- Sanders HWB, S. 242

dass -- Sanders HWB, S. 324

 

In Heyses Theoretisch-praktischer deutscher Schulgrammatik (Hannover: Hahn, 1834) sieht diese Ligatur so aus:

ss-Ligatur -- Heyse: Schulgrammatik, 1834; Titelblatt

Weitere Beispiele aus Heyses Schulgrammatik, die den Unterschied zwischen ſs-Ligatur, Eszett und ſſ-Ligatur zeigen:

ss-Ligatur in 'muss' -- Heyse: Schulgrammatik, 1834 Eszett in 'bloßen' -- Heyse: Schulgrammatik, 1834 normale ss-Ligatur in 'laesst' -- Heyse: Schulgrammatik, 1834


Schreibt man »musste« in Fraktur »muſste« oder »muſſte«?

Das ſſ, das Heyse nach kurzem Vokal vorsah, wandelte sich in folgenden Fällen zu ſs:

Das Verhältnis von ſſ zu ſs richtete sich im wesentlichen nach den Regeln, die für das lange s (ſ) und das Schluß-s (s) galten. Es hieß »Gewiſsheit« (nicht »Gewiſſheit«), so wie es »Weisheit« (nicht »Weiſheit«) hieß. Man sollte »Biſs/biſſig« schreiben, weil man auch »Eis/eiſig« schrieb. Dementsprechend sah Heyse auch vor konsonantisch anlautenden Flexionsendungen nicht ſs, sondern ſſ vor: »muſſte«, »gewuſſt« oder »vermiſſten« (analog zu »loſte«, »gereiſt« usw.).

Auf der I. Orthographischen Konferenz, die 1876 in Berlin stattfand, entschied man sich für die Heysesche s-Schreibung, wobei man allerdings vor konsonantisch anlautenden Flexionsendungen nicht wie Heyse ſſ, sondern ſs vorschrieb. Demnach sollte man also schreiben: »muſste«, »gewuſst«, »läſst« usw. (vgl. dazu Friedrich Blatz: Neuhochdeutsche Grammatik, 3. Auflage, Erster Band. Karlsruhe: Lang, 1900; S. 226 f.).

Diese Variante der Heyseschen s-Schreibung findet man beispielsweise im Steirischen Wortschatz von Unger/Khull: <http://www.literature.at/webinterface/library/ALO-BOOK_V01&objid=840&page=7&zoom=2&ocr=> (zweite Zeile von unten: muſsten; auf der vorhergehenden Seite: bewuſst).

Joh. Christ. Aug. Heyse hätte übrigens nichts dagegen gehabt, wenn im gewöhnlichen Schreibgebrauch der Einfachheit halber immer nur das ſſ verwendet worden wäre:

Zitat aus Heyse: Schulgrammatik, 1834; S. 76

[Joh. Christ. Aug. Heyse: Theoretisch-praktische deutsche Schulgrammatik, 11., verb. Auflage. Hannover: Hahn, 1834; S. 76]