Sie schaut in das elegante, hellerleuchtete Glasfenster, hinter dem
Frisuren stehen in allen Formen und Farben. Auf leuchtenden Wachsbüsten
mit rotgeschminkten Wangen und tief umränderten blauen, seelenlosen
Augen.
Die rote Perücke möcht' ich haben! Plötzlich lebt der Wunsch auf in der
kleinen Studentin, heiß und sengend, wie ein Schmerz, wie ein heilig
Gebot. Die rote Perücke mit den tiefen, breiten Wellen, den kleinen,
schmiegsamen Ringelchen um die Schläfe und der großen duftigen Locke,
die sich wie nach einer zärtlichen Bewegung zufällig losgelöst und einem
hinter dem Ohr in den Nacken fällt.
Was sind die blonden, schwarzen, braunen Haare nichtssagend im Gegensatz
zu der roten Perücke, die wie Feuer glänzt. Hell ringeln sich die
Löckchen zu züngelnden Flammen, dunkel glüht der Scheitel, Sonnen
sprühen, Leidenschaft glänzt im Flimmergold jeden Haares.
Ach, wär' die rote Perücke mein! Könnt ich sie einmal tragen eine Nacht
hindurch. Auf einem glänzenden Ball. Lichtüberflutete Säle. Herren in
Frack und Uniform, Orden auf der Brust, Sterne, Kreuze. Damen in
glitzerndem Schmuck und eleganten Toiletten, und ich mitten drin mit dem
roten Haar, das halbgelöst in den Nacken fällt, dessen kleine Löckchen
sich um meine klopfend warmjunge Stirne schmiegen, das Ohr küssen,
meine Wangen liebkosen, das Schwarz meiner Augenbrauen betonen, meine
Blicke leuchtend vertiefen.
Aller Augen sehen auf mich, hüllen mich ein in Glut und Licht. Und ein
ander Leben erwacht in meinem Blut, mein Denken, mein Fühlen wird heißer
unter der Feuersbrunst der roten Haare, meine Augen leuchteten anders,
meine Blicke würden wärmer, meine Worte trunken von seltsamer
Fremdheit.
Stolz wie eine Siegesfahne trüg ich die rote Perücke durch den Saal -
durch das Leben dann, und es lacht und lockt, verspricht und schenkt,
betört und beseligt... Nicht wie jetzt bei toten Büchern sitzen, bei
Worten mit fremdem Klang, bei Längstgestorbenen, deren Atem verweht,
deren Gedanken bloß ein seltsam Leben führen, das man erwecken kann oder
daran vorübergehen, und ich will nicht mehr, ich will nicht mehr...
Die toten Haare hier auf der kalten Wachsbüste, die will ich zum Leben
wecken, sie würden zu reden beginnen, wenn ich darunter lachte. Tausend
Wünsche steigen empor und umarmen mich. Gedanken haken sich fest, die
mich umgarnen. Rote Sehnsucht rinnt in meinen Adern, Verlangen klopft
in den Gliedern, und um mich her, eine mir fremde, kalte Grausamkeit
lauert im Herzen, und die Seele horcht, die Seele wächst und wächst...
Gedanken einer Mänade steigen empor aus dem roten Haar, Wünsche einer
Circe, das Erinnern an tausend Erlebnisse, das Locken einer bleichen
Nixe mit dem grünschimmernden Wunderleib. Sirenenlachen. Glutvolle
Leidenschaft. Die Sehnsucht, die Jahrtausende geklopft in Milliarden
Frauenherzen, stünde auf. Lebendig. Riesengroß. Lachend. Märchenhaft
tief.
Schön wär' ich und begehrenswert. Eine Siegerin, die lächelnd über
zertretene Herzen geht, über kniend betende Seelen.
Ja, sie allein hat mir gefehlt zur Entfaltung meines Selbst, das fühl'
ich, das weiß ich. Meines Herzens Lachen, meiner Sinne Flamme, meines
Geistes Feuer, sie alle warteten auf die rote Perücke, mit dem Haar aus
Feuergold, auf die Vision der roten Perücke.
»Mein Fräulein!«
Ein Herr steht neben ihr mit suchenden Augen und einem leis-verlegenen
Lächeln.
»Mein Herr.« Sie lächelt, das erstemal, daß sie sich nicht empört
fortwendet, sondern lächelt, und sie fühlt die Kraft dieses Lächelns.
»Fräulein, was sind die leblosen Haare hier im Gegensatz zu Ihrer
blonden Lieblichkeit.«
Sie sieht ihn an.
»Darf ich ein Stückchen mitgehen. Es ist ein so schöner Abend heute,
voll dunkler Geheimnisse.«
Entschlossen richtet sie sich auf. »Kaufen Sie mir die rote Perücke.«
»Vielleicht - später«, meint er ausweichend.
Sie lacht höhnisch. »Für mich gibt es nur einen Kaufpreis, und der muß
gleich erlegt werden.«
Er wartet und rechnet. Dann sinkt er zusammen. Er hat nicht soviel und
wird wohl niemals soviel beisammen haben. Aber er mag nicht fort. Die
kaltfunkelnden Augen locken ihn, und er vertraut der Macht seiner
jungen, bittend-demütigen Augen. Aber sie sieht über ihn hinweg, bis er
fortschleicht.
Ihre Augen umwerben wieder die rote Perücke, und sie weiß, sie wird sie
tragen.